Dorothea (Dorle) Kulicke
Unsere Lithothek ist ein Vorhaben, das inzwischen in seiner Bedeutung weit über die Arbeitsgruppe Micromounter hinausreicht. Deswegen legen wir diesen Artikel auch nicht unter der Fachgruppe Micromounter ab, sondern eröffnen mit ihm eine neue Rubrik, in der wir künftig regelmäßig über unsere Lithothek berichten werden.
Als wir im Jahr 2001 mit der Arbeit an dieser Sammlung begannen, da konnten wir nicht ahnen, zu was für einem Erfolgsmodell sich dieses Vorhaben entwickeln würde. Auch unser Vorstand war skeptisch und hatte Bedenken: „Unsere Micromounter wollen sich an der Quadratur des Kreises versuchen“, so informierte Herr Gößwein, damals 2. Vorstand des Vereins, die Mitglieder im Rahmen eines Vereinsabends. Diese Bedenken waren durchaus nicht unberechtigt. Viele Fragen wurden uns damals gestellt, die wir nicht beantworten konnten. Das mussten wir aber auch nicht, denn sie waren zum damaligen Zeitpunkt nicht relevant. Inzwischen sind manche der damals erwähnten Probleme konkret geworden. Und wir haben immer eine adäquate Lösung gefunden.
Ohne auf diese Bedenken Rücksicht zu nehmen, begannen wir einfach mit der Arbeit. Einer unserer Grundsätze war der, dass jeder mitmachen darf, dass aber niemand mitmachen muss. Ein anderer bestand in der Überzeugung, dass Visionen, die heute unrealisierbar erscheinen, morgen schon Realität und übermorgen bereits zur Selbstverständlichkeit geworden sein können. Diese Grundsätze haben uns 20 Jahre lang begleitet. Und sie gelten noch heute.
Mit diesem und den später folgenden kurzen Artikeln wollen wir Euch in unterhaltsamer Form darüber informieren, was die Lithothek ist, was es Neues gibt und wo sie hinsteuert. Vielleicht gibt es ja den einen oder anderen, der Lust daran hat mitzumachen. Auf alle Fälle aber würden wir uns über ein Feedback freuen, das ihr jederzeit gerne unter Lithothek@gmx.de an uns schicken könnt. Wir freuen uns über positive Reaktionen, wir sind aber auch für Kritik und Anregungen aller Art jederzeit aufgeschlossen.
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Die Lithothek verfolgt ganz unterschiedliche Ziele. Ein erstes ganz wichtiges Ziel bestand und besteht noch immer darin, anhand ihrer Sammlungen die Erinnerung wach zu halten an Freunde, die nicht mehr unter uns sind. Unter diesem Gesichtspunkt wollen wir diese erste Folge unserer Serie Dorothea Kulicke (Dorle) widmen.
Dorle wird dem einen oder anderen von Euch vielleicht noch bekannt sein. Sie war langjähriges Vereinsmitglied und leitete vor Gerhard Voges die Arbeitsgruppe Senioren und Anfänger, wo sie offenbar ein strenges Regiment führte. Bekannt sind Geschichten darüber, dass sie auf Exkursionen mit Hilfe ihrer Trillerpfeife für Ordnung und Disziplin in der ihr anvertrauten Gruppe sorgte. Sie war aber auch sehr großzügig. Wer sonst hätte es fertiggebracht, die gesamte MM-Gruppe (die damals allerdings sehr klein war) auf ihre Kosten zu Sammelexkursionen einzuladen.
Ich habe sie im Frühjar 1995 als Mitglied der Micromountergruppe kennen gelernt. Ich war damals neu bei den Mineralienfreunden eingetreten und hatte große Startschwierigkeiten. Die Gruppe war sehr klein, traf sich einmal im Monat, diskutierte ohne vorab festgelegte Themen, tauschte Mineralien, verabredete sich zu gemeinsamen Exkursionen und ging dann gemeinsam zum Abendessen. Ein Neuer wurde kaum zur Kenntnis genommen. Ich war kurz davor wieder abzuspringen. Es war Dorle, die dies realisierte und verhinderte. Sie lud mich zu sich nach Hause ein, wo wir Mineralien aus ihrer Sammlung betrachteten und diskutierten. So lernte ich als absoluter Anfänger erstmals die Grube Clara kennen, die Mineralien aus der Eifel, von Waidhaus, aus dem Kaiserstuhl, aber auch aus dem Tessin und von Laurion.
Bald entwickelte sich aus diesen Anfängen eine enge Freundschaft auch zwischen ihr und meiner Frau Regine. An einem festgelegten Tag holte ich Dorle jede Woche ab, und wir arbeiteten gemeinsam bei uns zu Hause an Mineralien. Es war ihr erst gar nicht so lieb, dass ich in Heimstetten ein eigenes Apartment anmietete, um dort an unserem Hobby zu arbeiten und damit den durch das Formatieren von Rohmaterial zwangsläufig entstehenden Staub aus unserer Wohnung zu verbannen. Sie fürchtete (zu Unrecht), dies könne dem Kontakt zwischen Regine und ihr abträglich sein.
Als wir im Jahr 2001 mit den Arbeiten an der Lithothek begannen war Dorle eine der Ersten, die ihre Sammlung einbrachte. Sie hatte keine Familie, die sich später einmal für ihre Micromounts hätte interessieren können. Insofern war es für sie naheliegend, die Existenz ihrer kleinen Schätze auch über die Zeit ihres Lebens hinaus zu sichern. Gemeinsam gingen wir Stück für Stück ihrer Sammlung durch und entschieden, was in die Sammlung gehen sollte und was wir später einmal für den Verkauf freigeben wollten.
Heute befinden sich über 1.300 Stücke aus ihrer ehemaligen Sammlung in der Lithothek. Da sie immer besonderen Wert auf Ästhetik legte, sind viele dieser Sammlungsobjekte bereits photographiert und im Mineralienatlas veröffentlicht, wo sie von jedermann betrachtet werden können. Wir bewerten die Qualität unserer Sammlungsobjekte mit Sternen und sind dabei sehr kritisch. Immerhin haben mehr als 270 Micromounts aus Dorles ehemaliger Sammlung die maximal mögliche Anzahl von fünf Sternen erhalten.
Dorle starb am 2.11.2003, am Abend des letzten Messetages. Sie wollte diese Messe unbedingt noch einmal erleben, hatte aber nicht mehr die Kraft zu einem persönlichen Besuch. So musste sie sich damit begnügen, den Messekatalog dieses Jahres als letzte Lektüre ihres Lebens zu studieren. Wer mehr über unsere Freundin Dorle und ihre Leidenschaft für Mineralien wissen möchte, der findet unter www.mineralienatlas.de bei dem Suchbegriff „Kulicke“ einen ausführlichen Sammlersteckbrief von Dorle und insgesamt 580 Photos mit Stufen aus ihrer ehemaligen Sammlung.
Dr. Manfred Seitz